Historische Ausgangsposition eines Mixed Media Projekts: Wir schreiben das Jahr 1821, als ein Darmstädter Apotheker namens Friedrich Koch in Oppenheim eintrifft. Der Mittdreißiger kommt, um zu bleiben. Hier, am linken Rheinufer, nur etwa 20km Luftlinie von der Landeshauptstadt, Darmstadt, entfernt, will er sich niederlassen, eine Apotheke übernehmen und ein angesehener und nützlicher Bürger der Stadt werden. Auch wenn es schwer ist, in Köpfe zu schauen, die vor 200 Jahren lebten, so lässt sich aus Indizien schließen, dass Koch möglicherweise einen Plan hatte, der ihn über eine Position als örtlicher Apotheker hinauswachsen lassen wird: Streng genommen lässt sich Koch mit heutigen Worten zutreffender als Start-Up-Unternehmer, als Tech-Geek, als Entrepreneur beschreiben als als biedermeierlichen Teilnehmer des Honoratioren-Stammtischs. Denn: Koch wird die vermutlich erste industrielle Pharmaproduktion der Welt in Oppenheim starten. Und er wird dafür die neuesten Technologien seiner Epoche nutzen oder auch selbst anwenden. Auch wenn eine Dampfmaschine aus heutiger Perspektive nur noch wie ein antiquiertes Monstrum aussehen mag, zuzeiten Kochs war sie brandaktuelle Spitzentechnologie. Und als 1850 die erste Dampfmaschine auf dem Hof der Familie Koch installiert wurde, war das ein wichtiges Ereignis mit einem lustigen Nebeneffekt: Die erste Dampfmaschine in Oppenheim bei den Kochs bedeutet auch, dass die Familie die erste Badewanne der Stadt besitzt. Warmes Wasser hatten die Kochs jener Zeit genug.
Apropos! Der technische Prozess, den Koch für seinen Fertigung anwenden wird, ist ebenfalls super modern und der interessierten Menschheit zu dem Zeitpunkt erst 16 Jahre bekannt. Friedrich Wilhelm Sertürner hatte 1805 in Paderborn erstmals ein Alkaloid isoliert: Morphin aus dem Saft des Schlafmohns. Die Technologie der Alkaloidabscheidung war sehr vielversprechend. Und so hatte Friedrich Koch sich zum Ziel gesetzt, das Alkaloid Chinin aus der Rinde des Chinabaumes abzuscheiden, um ein ganz konkretes Gesundheitsproblem in seiner nächsten Umgebung wie auch in weiten Teilen der Welt zu lösen. Die Bekämpfung der Malaria.
Die durch Friedrich Koch angeführte historische Episode ist eine weitere bemerkenswerte Geschichte in der an Geschichten nicht armen Stadt Oppenheim. Doch sollten sich noch ein paar Fragen zur Chinin-Herstellung in Oppenheim beantworten lassen, dann kann sich diese Episode als Bestandteil einer weltweiten Wirkung einordnen lassen.
Koch beginnt nachweislich 1824/25 mit der Produktion von Chinin in nicht unerheblichem Ausmaß mit ebenfalls nicht unerheblichen Auswirkungen auf ein damals bestehendes Netzwerk aus Importeuren, Apothekerkollegen, Forschungsreisenden etc. etc. Viele Ereignisse in Kochs Biographie und bei seiner Produktion lassen sich nur durch Rückschlüsse rekonstruieren. So müssen noch einige Fragen an die geschichtlichen Hergänge jener Zeit gestellt werden.
Etwa:
- Lässt sich rekonstruieren, wie Sertürners Entdeckung ihren Weg zu Friedrich Koch fand? Gibt es Verbindungen zu dem fast gleichaltrigen, damals sehr einflussreichen Pharmazeuten Johann Bartholomäus Trommsdorff?
- Wie wichtig sind Kooperationen und Netzwerke in jener Zeit? Namentlich die belegte Zusammenarbeit mit Emanuel Merck, der zur selben Zeit im nahen Darmstadt ebenfalls eine Alkaloid-Verarbeitung beginnt.
- War die Wahrscheinlichkeit im Raum Oppenheim an Malaria zu erkranken (und deshalb die Krankheit hier wirksam zu bekämpfen) ein leitendes Motiv für Friedrich Koch?
- Immer wieder wird kolportiert, Koch habe Schwierigkeiten gehabt, seine Qualifikation vom rheinhessischen Medicinalkollegium anerkennen zu lassen: Wie kann das sein, wenn doch Mainz und Rheinhessen zu jener Zeit seit fünf Jahren dem Darmstädter Großherzog zugeschlagen worden waren?
- Wie entsteht Kochs Affinität zu neuesten Technologien? Welche wirtschaftlichen Vorteile sind daraus für Koch entstanden?
- Wirkte sich die Installation und Anwendung neuester Technologien auf die Stadt Oppenheim und ihre Umgebung aus?
- Konnte Kochs Produkt die Malaria in der Region wirksam zurückdrängen?
Tatsache ist: Schon 1823 erreicht das Chinin aus der Apotheke Friedrich Kochs Marktreife. Der Pharmahersteller beginnt Marktforschung und Marketing. Koch schaltet Annoncen, kündigt sein Produkt an und klärt über den Absatzmarkt auf. Diese Zeitmarke nehmen wir zum Anlass, um diese historische Episode genauer zu betrachten, ihre Aspekte auszuleuchten und unsere Erkenntnisse zeitgemäß mittels verschiedener Verbreitungsformen einem interessierten Publikum zur Verfügung zu stellen. Es wird vom erklärenden Film über die Präsentation originaler Objekte in einem Museum, dem realen Austausch wissenschaftlicher Erkenntnisse usw. verschiedene Medien und Plattformen geben, diese Geschichte jener Jahre zu verstehen und in Teilen zu erleben. Und da Chinin Bestandteil von Tonic water ist und dieses wiederum Teil eines ordentlichen Gin Tonic, ist nicht auszuschließen, dass es zum Wissen über historische Ereignisse auch hippe Getränke geben könnte.