Friedrich Koch und ein Modell des Rodensteiner Hofs in Oppenheim

Friedrich Koch und das Chinin

Informativ, unterhaltsam und bewegend: Wissenschafts-, Wirtschafts- und Technologiegeschichte.

Erster Dokumentarfilm hergestellt mit ausschließlich computergenerierten Bildern und 3D-Models. Visuelles Storytelling mittels CGI schafft Erlebnisräume.

Services: Recherche, Projektentwicklung, Mixed Media

Am 10. Januar feierte mein jüngstes Dokumentarfilmprojekt Kinopremiere. Damit fanden ein inzwischen acht Jahre dauerndes Rechercheprojekt und eine etwa eineinhalb Jahre dauernde CGI-Dokumentarfilmproduktion einen durchaus erfolgreich zu nennenden Abschluss in einer restlos ausverkauften Abendveranstaltung.

Das Sujet

Um das Jahr 2000 machte ein Wiesbadener Autor mit einer starken These auf ein bis dahin nur mäßig bekanntes Thema aufmerksam „Die Wiege der Pharma-Industrie stand in Oppenheim”. Die Story dahinter: Im Frühjahr 1821 ersteigert ein Apothekergehilfe namens Friedrich Koch aus dem Rechtsrheinischen eine durchaus pompös zu nennende Apotheke in Oppenheim am Rhein. Und nur drei Jahre später geht er mit aus Chinarindenbaumrinde extrahiertem reinen Chinin sowie mit zahlreichen chininhaltigen Nebenprodukten an den Markt. Diese Arzneimittel zur Bekämpfung von Malariasymptomen stellt Koch in einer Fabrikation her, die durchaus Merkmale aufweist, die man als (frühe) Industrie bezeichnen kann. Im Rückblick aus der Perspektive des 21. Jahrhunderts ist das durchaus eine große Sache. All die großen Namen (auch in der zeitgenössischen) Pharmaindustrie haben historisch gesehen einen gemeinsamen Vorgänger: nämlich eben jenen Johann Friedrich Ludwig Koch, Pfarrerssohn aus Messel bei Darmstadt, seit dem 10. Januar 1822 Inhaber einer Apotheke im Zentrum der Stadt Oppenheim.

Tatsachen und Spekulationen

Es brauchte nicht viel, um festzustellen, dass Friedrich Koch großes Pech mit seinen Biographen hatte.
Obwohl er der Alkaloid-Extraktion im Allgemeinen und der Chinfabrikation gebührend Raum gibt, erwähnt schon Hermann Schelenz in seiner „Geschichte der Pharmazie” (1904) Friedrich Koch mit keinem Wort. Doch es kommt noch schlimmer: Übertünchungen der biographischen Ereignisse im Leben Kochs, Spekulationen oder gar Erfindungen von Fakten (und Daten!) nehmen Fahrt auf. Der Oppenheimer Apotheker und wegen seiner Verdienste um die Heimatforschung zum Ehrenbürger der Stadt gekürte Carl Wernher veröffentlicht im Sammelband „Hessische Biografie” (1918) einen überdurchschnittlich umfangreichen Artikel über Friedrich Koch. (Dessen Kollege, der Darmstädter Apotheker und Fabrikant Heinrich Emanuel Merck, wird überhaupt in dieser biographischen Sammlung bemerkenswerter hessischer Persönlichkeiten nur in einer winzigen Fußnote erwähnt!). Da ist von einem Pharmaziestudium Kochs an der Universität Gießen die Rede, eine Behauptung die anhand der Matrikel dieser alma mater eindeutig widerlegt werden kann (und auch zu Wernhers Zeiten hätte widerlegt werden können). Was auch die immer wieder zitierte Ausbildung zum Apotheker in Zwingenberg angesichts fehlender Dokumente in Frage stellt. Beliebtes Steckenpferd der Koch-Biographen ist der so genannte und über alle Maßen hochgejuxte Streit Kochs mit den Mitgliedern des Mainzer Medizinal-Kollegs. Augenscheinlich hat sich keiner sämtlichen Koch-Biographen bis in jüngste Zeit die Mühe gemacht, die Protokolle dieser Institution in der causa Koch zu lesen, geschweige denn daraus brauchbare Schlüsse zu ziehen oder die Behauptungen auch nur näherungsweise mit Belegen zu untermauern.
So kommt es, dass der oben erwähnte Wiesbadener Autor den Eröffnungstermin von Kochs erster Apotheke in Oppenheim auf den 1. April 1821 verlegt … eine Woche bevor die Versteigerung des Gebäudes überhaupt stattfand. Zahllose Autoren schrieben und schreiben bis heute ungeprüft diese Spekulationen ab.

Nur von den wenigsten gründlich gelesen: Die Einträge in den Protokollen des Mainzer Medizinal-Collegs erstrecken sich vom Frühjahr 1821 bis Januar 1822. Deshalb muss über die Eröffnung der Apotheke durch Friedrich Koch auch nicht spekuliert werden. Im §1062 findet sich das genaue Eröffnungsdatum. Es ist der 10. Januar 1822. Digitale Collage, Standbild aus dem Film © Axel Nixdorf 2025

Recherche

Angesichts der kaum anders als irritierend zu nennenden biographischen Veröffentlichungen über Koch und seine Tätigkeiten in Oppenheim bestand die erste Aufgabe darin, Tatsachen von Erfindungen zu trennen, Dokumentierbares von Spekulationen zu unterscheiden. Die zugegebenermaßen dünne Quellenlage musste durch Gegenproben gefestigt werden. Vorgänge wie die um Friedrich Koch können nur verständlich werden, wenn man sich die Mühe macht, die Umgebungsbedingungen seiner Zeit so präzise wie möglich abzubilden, also die von Sertürner erstmals beschriebene „Pflanzenchemie” zu betrachten, deren Aufnahme in der Gemeinschaft der Ärzte und Apotheker im frühen 19. Jahrhundert, die Ableitungen aus Sertürners Erkenntnissen durch Runge, Pelletier und Caventou sowie schließlich Friedrich Koch. Aber sozialgeschichtliche, technologische, handelspolitische Gesichtspunkte und nicht zuletzt Aspekte der Seuchenbekämpfung und Gesundheitsvorsorge spielen in die Betrachtung von Friedrich Kochs Wirken hinein.

Allein, dass Malaria im Raum Oppenheim ein ernstzunehmendes, sämtliche Bevölkerungsschichten betreffendes Gesundheitsproblem war, ist eine aus heutiger Sicht erstaunliche Beobachtung. Aber es ergaben sich auch weitere Fragen etwa nach Handelsnetzwerken oder auch nach Technologie: welche Kraftmaschinen waren denkbar? Bis mindestens 1830 schieden Dampfmaschinen mangels Wirkungsgrades als Unterstützung zum Zerkleinern, Mahlen und Rühren der Chinarinde aus. Aber weder die Alte Landschreiberei noch das seit 1822 genutzte Haus Krämerstraße 2 verfügten über ausreichend Platz um beispielsweise Göpelpferde einzusetzen. Die nächstliegende Lösung scheinen tatsächlich Flussmühlen zu sein. Diese durch Wasserkraft angetriebenen, am Ufer fest vertäuten und verankerten Schiffe waren gewissermaßen entlang des gesamten Flusses verbreitet und konnten durchaus auch Koch und seiner in großen Mengen verarbeiteten Chinarindenbaumrinde nützlich gewesen sein.

So entstand in zirka acht Jahren der Recherche ein vielschichtiges Bild von Friedrich Koch, seiner Zeit und damit von der Entstehung der chemisch-pharmazeutischen Industrie aus dem Geist der Apotheke. Dass in einem Arbeitsumfeld wie dem einer Apotheke mit ihren Feinwaagen, Spateln und sorgfältigst gemessenen Kleinstmengen etwas so Gewaltiges wie Industrie entstehen sollte, ist einer der Aspekte, der mich an diesem Thema fesselte. ein Ergebnis dieser achtjährigen Recherchearbeiten ist sicher auch, dass der Stand des Wissens über eine der bedeutendsten Persönlichkeiten in der Geschichte Oppenheims, über Friedrich Koch,  spätestens seit der Premiere meines Films so gut und gründlich aufbereitet ist, wie er das bisher in 200 Jahren noch nie war.

Vom Finden der Form

Nach mehrjähriger Erfahrung mit der Herstellung von dokumentarischen und/oder erklärenden Animationsfilmen oder mit Animationen illustrierten Realfilmen schien mir das Sujet Friedrich Koch geeignet zu sein, um einen nächsten Schritt zu gehen. Wie wäre es, fragte ich mich, eine Dokumentarfilmproduktion zu einem historischen Stoff ausschließlich mittels computergenerierter Bildgebung zu realisieren? Gerade das 3D-Modelling ist bisher überwiegend in der Hand von Computerspielentwicklern, Produktfotografen und Architekturvisualisierern. Gerade der Erfolg dieser Technologien in der phantasiereichen Welt der Computerspiele ermutigte mich, die Errichtung von Erlebnisräumen für historische Dokumentationen ebenfalls über 3D-Modellierungen zu verwenden. Auch wenn dabei der Computer ein Werkzeug ist, bleibt diese Herangehensweise pure Handarbeit. Um es an einem eher unscheinbaren Beispiel zu erklären: jedes Flackern einer Leuchtstoffröhre muss in mehreren Arbeitsschritten von Hand animiert werden. Die Zuschauer sehen dieses Hand-Werk nicht, aber sie können es erleben!

Meine jahrelange Beschäftigung mit Blender 3D und der ergänzenden Software Octane for Blender, die die Physik des Lichts perfekt beherrscht und so photorealistische Bilder erzeugen kann, führte zu dem schließlich – wie sich herausstellen sollte – erfolgreichen Versuch, visuelles Erzählen in einem Dokumentarfilm auf einem neuen Level erlebbar zu machen.