Wein.Gut

Die Entstehungsgeschichte der TV-Dokuserie „Wein.Gut” liegt zwar schon eine Weile zurück. Ich halte sie jedoch für prägend, weil sie alle meine weiteren Arbeiten mit audioviduellen Medien erheblich beeinflusste.

„Wein.Gut” geht einen anderen Weg

Mit „Wein.Gut” traten wir auch und vor allem gegen die Traditionalisten unserer Branche an: Seit 2005 etwa regte sich die audiovisuelle Darstellung von Wein und Weinbau in Deutschland und der Welt. TV-Urgesteine wie Frank Elstner oder Ulrich Kienzle veranstalteten mit den damals noch vergleichsweise Riesenbudgets im Rücken wahre Materialschlachten, um die ewiggleichen Spitzenwinzer in Interviews zu geschliffenen Aussagen über ihre Weine zu bewegen. (Was den Weinbauern nicht vorzuwerfen ist: Schließlich waren sie hochqualifizierte Winzer und keine Feuilleton-Edelfedern.) Etwa wenn sie ihre Weine in windschiefen Allegorien mit klassischer Musik (Vivaldi-Alarm!) vergleichen mussten, um den pensionierten Oberstudienräten im Fernsehpublikum den Weingenuss mit besserwisserischem Zuckerguss zuzukleistern.

Die Hilfstruppen der Elstners, Kienzles und all der anderen karrten gefühlt ganze Tieflader an Scheinwerfern, (damals) teuren Zweit- und Drittkameras und anderem technischen Gestrüpp an, leuchteten Kellergewölbe taghell aus, vergaßen nicht die Großaufnahmen von aus Messing handgedengelten Weintraubenornamenten, weichen Überblendungen zu den Weinstöcken draußen vor der Tür und zurück.

Höhepunkte dieser Sendungen damals waren grotesk ausgeleuchtete Interviewszenen, in denen eigentlich immer dasselbe zu sehen war: Zwei Silberrücken blickten ganz verzückt in die Weingläser, die sie vor sich hin- und herschwenkten und gaben dabei allerlei gestelztes Gerede von sich, von dem sie wohl annahmen, dass es die trutschigen Erwartungen ihres Publikums erfüllen könnte.

Mit „Wein.Gut” gingen wir einen sehr anderen Weg. Von Anfang an waren und blieben wir der Ansicht, dass die Persönlichkeit der Weinmacher essenziell für die Art ihrer Produkte ist. Eine Meinung, die sich in den folgenden Jahren im Zuge der „Terroir”-Diskussionen schließlich auch allgemein durchsetzte: Das Handeln des Winzers, seine Traditionen und handwerklichen Kontexte haben erheblichen Anteil an der regionalen Unverwechselbarkeit des Weins. Uns interessierten die Persönlichkeiten, die die Weine produzierten. Uns interessierten die Motive, die diese Menschen dazu brachten, ihre Tradition weiterzuentwickeln, ihre Produkte immer besser zu machen, ja, diese an die Weltspitze heranzuführen.

„Keep it simple! Make it nice!”

Mit verhältnismäßig kleinem Budget (für Innovationen zahlt man als Macher meistens drauf, weil die Mehrheit der Auftraggeber die Sicherheit des Alten mehr mögen als Versuche, Neues zu erfinden), aber großer Lust am Machen gingen wir im Auftrag des damals noch jungen (und inzwischen schon wieder von uns gegangenen) Spartensenders ZDF-dokukanal an die Realisierung unseres Projektes „Wein.Gut”. Einer der besten Kameramänner im Rhein-Main-Gebiet, Mirko Schernickau, zeichnete für die meisten der sechs Episoden verantwortlich und prägte so erheblich das zeitgemäße Erscheinungsbild unserer Serie mit. Aus heutiger Sicht war es ebenfalls ein Glück, dass der ZDF-dokukanal damals zahlreiche Produktionen im Kurzformat von 15 Minuten in Auftrag gab. Man kann diesen Zeitrahmen als Zwang bezeichnen oder darin eine hervorragende Chance erkennen. Wir entschieden uns klar für die zweite Lesart: In 15 Minuten ist kein Platz für Eitelkeiten, kein Platz für moderierende Silberrücken, kein Platz für Schnörkel, Troddeln oder Ornamente. In 15 Minuten muss man sich auf das Wesentliche konzentrieren. Auch die illustrierenden Elemente müssen der zur erzählenden Geschichte dienen.

Lange bevor „storytelling” in aller Munde sein würde, erkannten wir bei der Produktion von „Wein.Gut” die wichtigen Elemente, filmisch eine Geschichte gut zu erzählen. Die Verdichtung der Erzählung von damals üblichen 45 Minuten auf ein Drittel dieser Zeit erforderte auch eine visuelle Verdichtung. Das hieß damals auch, eine unserer ersten „heiligen Regeln” für die Serie über Bord zu werfen. Die da hieß: „Kein Splitscreen!” Denn genau dieses Stilmittel ermöglichte uns, die filmischen Winzerporträts dichter als bis dahin üblich zu erzählen. Splitscreen war damals – wenn überhaupt – ein gestalterisches Mittel für fiktionale oder künstlerische Filme. Im Format „Dokumentarfilm” war die Form des geteilten Bildschirms – um es vorsichtig auszudrücken – unüblich. Daneben setzten wir in einem der Filme eine Stoptricksequenz ein, was bis dahin auch nicht gerade zum Werkzeugkasten der Dokumentarfilmer gehörte. Und ich erinnere mich genau, dass es einiger Überredungskunst bedurfte, die Redaktion davon zu überzeugen, dass ein Gespräch zwischen Hans Oliver Spanier und seinem Freund und Kollegen Daniel Wagner von uns als dezente Umkreisung der beiden gefilmt wurde.

Meilensteine

  1. Zu den Meilensteinen zählte damals, dass wir die zeitliche Verdichtung des üblichen Dokumentarfilmformats mit einer visuellen Verdichtung auffingen.
  2. Kein Platz für Eitelkeiten, kein Platz für Ablenkung vom Wesentlichen durch schwadronierende Präsentatoren.
  3. Strenge Konzentration auf den Winzer, seine Motive, die Ursachen für diese, seine, spezielle Weise Weine zu machen. Filmisches Winzerporträt in seiner strengen Form.
  4. Wahl der Drehorte als Verstärkung der Darstellung der Winzerpersönlichkeit (Ich erinnere mich gut daran, dass der Produzent Stephan Rebelein und ich uns konstruktiv um Budget für einen Dreh mit Klaus Peter Keller balgten. Aber Klaus Peter Keller als einer der bedeutendsten deutschen Weinbauern ist ohne Bezugnahme zum Burgund einfach nicht zu verstehen. Rebelein und die Redaktion hatten schließlich ein Einsehen und machten diese dramaturgisch wichtige Reise am Ende möglich. Der fertige Film dankt es uns.)
  5. Loungemusik! Dazu muss man nicht viel sagen. Wichtig war uns, dieses ewige Vivaldi-Gedudel aus den Dokumentationen über Wein zu vertreiben. (Damit wir uns nicht missverstehen. Diese Entscheidung gründet sich nicht darin, dass wir Vivaldi verabscheuen. Im Gegenteil! Wir lieben Vivaldis Kompositionen zu sehr, als dass wir uns daran beteiligen, sie für den billigen Effekt als Massenware wie Fahrstuhlmusik zu verdudeln.)

 

Rückblick, subjektiv

Nach insgesamt sechs Episoden erinnert man sich als Autor und Regisseur, zieht seine ganz persönlichen Lehren.

Ja, ich habe einen Favoriten unter den Filmen. Das ist der Film über Fritz Keller vom Weingut Franz Keller in Oberbergen am Kaiserstuhl. Ein großer Vorteil dieses Films war fraglos, dass das Team und ich vier statt drei Drehtage zur Verfügung hatten. Ein weiterer Pluspunkt in meinem persönlichen Ranking ist, dass dieser Film eine gescriptete, jedoch völlig improvisierte Exposition (die diese Bezeichnung wirklich verdient!) hat. Schon bevor der Protagonist des Films überhaupt ein Wort gesagt hat, wissen die Zuschauer schon einiges wichtiges über ihn.
Den Platz zwei in meinem subjektiven Ranking nimmt der Film über Markus Schneider ein. In der Abfolge der Serienproduktion von „Wein.Gut” war dieser Film der erste. Und er war die erste Zusammenarbeit zwischen mir und Mirko Schernickau als Kameramann. Wir erlebten Markus Schneider in einer frühen Phase seines bahnbrechenden Erfolgs. Selten begegnete mir ein offenerer, ungefilterter Interviewpartner als Markus Schneider. Er erzählte uns von seiner Strategie, zugängliche Weine für jedermann zu produzieren und damit den Fokus mehr auf deutsche Weine zu rücken. Ebenso sprach er über seinen Traum, auch in der Liga der großen lagerfähigen Weine Fuß fassen zu wollen (ein Wunsch, an dessen Erfüllung – wie sich für mich Jahre später zeigen sollte – er erfolgreich gearbeitet hatte), offen bekannte er Fehler seiner frühen Marketingbemühungen, verbarg nicht die Naivität, mit der er und seine Familie in den Erfolg stolperten („Wir haben einfach ein Schild an die Straße gestellt ,Wein zu verkaufen‘ und nach ein paar Tagen hielt tatsächlich jemand an …”)  Und er ging offen mit dem eigenen Erstaunen darüber um, dass der mit viel Arbeit und Anstrengung angestrebte Erfolg auch tatsächlich eintrat. Außerdem erinnere ich mich, dass wir am letzten Drehtag mittags im Deidesheimer Gasthaus „Kanne” noch zuzeiten des großartigen Kochs und Gastgebers Florian Winter das beste „Eingemachte Kalbsfleisch” meines Lebens serviert bekamen. Das Team – Mirko, Stephan Höfler und ich – teilten uns einen tiefen, mit Bandnudeln und diesem wunderbar duftenden Schmorgericht gefüllten Teller. Jeder von uns fuhr mit einem großen Silberlöffel durch diese Köstlichkeit. Ein unvergesslicher Glücksmoment.

Noch immer bin ich fest davon überzeugt, dass wir mit unserem Film ein sehr zutreffendes filmisches Winzerporträt von Markus Schneider geschaffen haben.

Die Arbeit mit Frank Reichert am Schnittplatz hat mir damals die Augen für eine völlig neue Herangehensweise an filmische Montage geöffnet. So etwa, dass gestalterische Elemente eines Films nicht plötzlich, sondern allmählich animiert in den Schnitt übernommen werden (Reichert etwa „zelebriert” die Bildschirmaufteilung des Splitscreen, indem er die trennenden Linien in das Bild animiert … Heute würde man das mit After Effects von Adobe leicht lösen. Reichert gelang das ohne Not im Avid Media Composer.) Mit Oliver Engelhardt habe ich für einen der Filme bestimmt eine zusätzliche Stunde im Tonstudio zugebracht, nur weil Oli das Bild eines Gabelstaplers nicht ohne Ton rausgeben wollte. Wir produzierten in einer Zeit, als das Internet noch nicht voll von Datenbanken für alles mögliche war …)
Seither verlässt meine Postproduktion auch kein Clip ohne damit verbundenen Ton. Mehr noch: Bei der heute haufenweise produzierten und im Internet anzutreffenden Ware, ohne Atmo-Ton, geschnitten auf öde Konservenmusik beginnen meine Ohren zu bluten … eben weil da NICHTS zu hören ist.

Mit Klaus Peter Keller habe ich auch nach dem Abschluss der Serie das eine oder andere Projekt realisiert (und realisiere immer noch das eine oder andere.) Vieles. was ich über Wein und Rebpflege weiß, weiß ich von ihm und bin ihm dafür dankbar.

Der Dreh mit Martin Tesch lehrte mich vieles über „knochentrockene” Rieslinge und wie fest man von diesem Geschmacksbild überzeugt sein muss, um sich am Markt durchzusetzen. Schon Jahre vor dem Dreh diktierte mir Martin Tesch im Interview in den Block:  „Ich bin der beste Verkäufer zwischen hier und Wladiwostok”. Außerdem verdanke ich Tesch ein großartiges Abendessen bestehend aus Bratkartoffeln und gebratener Wildeberleber mit gelagerten Tesch-Weinen. Unvergesslich!

Tesch verdanke ich es auch, zum ersten und einzigen Mal in einem Konzert der „Toten Hosen” gewesen zu sein (und dort gedreht zu haben: eine unverzichtbare Episode für die Charakterisierung von Martin Tesch.)

Oliver Haag und seinem Vater Wilhelm verdanke ich den besten Grund- und Fortgeschrittenenkurs zum Thema „Moselriesling”. Und noch heute bekomme ich bei der Expositionssequenz des Films angesichts des Umschnitts auf die Totale der Juffer Sonnenuhr eine ordentliche Gänsehaut! Mission accomplished!

Last but not least ist da der Film über Hans Oliver Spanier. Ich war aus organisatorischen Gründen nicht von Anfang an beim Dreh dabei und nahm mich deshalb auch bei der Postproduktion ein wenig mit meiner Meinung zurück. Ein zwei Regieeinfälle konnte ich beitragen. Darunter ist auch die ironische „Brechung” unseres Vivaldi-Verdikts in der Exposition. Ich sage nur: Herbstlaub-Vivaldi-Unimog-AC/DC … Doch viel wichtiger ist für mich persönlich eine Lehre aus diesem Film für’s Leben, die ich aus dieser Produktion lernte: Manche Dinge erklären sich erst aus der Rückschau von einigen Jahren. Was ich 2007 nicht sah und erst durch eine weitere Produktion mit Hans Oliver und seiner Frau Caroline im Jahr 2020 lernte, dass die beiden sehr zielgerichtet, klar und absolut authentisch arbeiten und leben.

Danke, danke an alle Beteiligten, danke all jenen, die diese (für mich Meilenstein-)Produktion möglich gemacht haben.